Auktion: 525 / Evening Sale am 10.12.2021 in München Lot 243

 

243
Albert Oehlen
Ohne Titel (Triptychon), 1988.
Mischtechnik auf Holz
Schätzung:
€ 1.500.000
Ergebnis:
€ 3.600.000

(inklusive Aufgeld)
Ohne Titel (Triptychon). 1988.
Mischtechnik auf Holz.
Jeweils verso signiert und datiert. Das Mittelteil zudem verso bezeichnet. Jeweils 200 x 150 cm (78,7 x 59 in). [CH/EH].

• Erstes monumentales Triptychon des Künstlers auf dem internationalen Auktionsmarkt.
• Wichtiges Programmbild aus der Zeit des Übergangs von der lesbaren Figuration zur metamorphotischen Abstraktion.
• Oehlen verwendet die "Pathosformel" des Triptychons als direktes Zitat aus der Kunstgeschichte und thematisiert durch die Anordnung der Bilder das Verhältnis zwischen den drei Motiven.
• Charakteristisches Werk für den von Oehlen zum Ende der 1980er Jahre entwickelten Malstil, in dem erdige Lasur und harmonisch goldener Gesamtfarbklang zusammengeführt werden.
• Gezeigt auf der großen europäischen Retrospektive von Albert Oehlen in Lausanne (2004), Salamanca (2005) und Nürnberg (2005)
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Dr. Sebastian Neußer berät Sie umfassend und exklusiv:
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PROVENIENZ: Galerie Gisela Capitain, Köln.
Privatsammlung Süddeutschland (1991 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Albert Oehlen: Peintures/Malerei 1980-2004. Selbstportrait mit 50millionenfacher Lichtgeschwindigkeit, Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne, 18.6.-5.9.2004, S. 70f. (mit doppelseitiger Abb.).

"Über Jahre habe ich mich dann in Schritten dem Pop zu nähern versucht – in dem Sinne, dass ich Eigenschaften wie Farbigkeit, Direktheit und Heiterkeit anstrebte, die man gemeinhin dem Pop zumisst. Ich bin bei diesen Annäherungsversuchen mit einer ganzen Menge Bilder gegen die Wand gelaufen. Diese Arbeiten habe ich anschließend vernichtet. Aber dann habe ich doch noch einen Zugang gefunden. Der Schlüssel hierfür war eine Erinnerung aus meiner Jugend, also jener Zeit, in der man noch so ganz frisch und unbedarft den Konsumterror kritisiert hat."
Albert Oehlen, 2008.

"Ich wollte Emotionen! […] Aber irgendwann faszinierten mich diese Akt-Bilder von Francis Picabia: Mir hat jemand erzählt, dass es ihm einfach große Freude bereitet habe, diese Frauen zu malen. Ich dachte: 'Schade. So habe ich nie gearbeitet. Etwas, das ich ganz ernsthaft toll finde, einfach abzubilden.' Gleichzeitig wollte ich immer Popkunst machen, große, farbige Sachen, die einen unmittelbar ansprechen."
Albert Oehlen, zit. nach: Interview mit Albert Oehlen von Max Dax, in: Galerie Max Hetzler (Hg.), Albert Oehlen 1991-2008, Berlin 2008, S. 77.

Albert Oehlen wählt die "Pathosformel" des Triptychons. Er erzählt uns eine sakral anmutende Geschichte und malt sie zudem auf Holz. Ein großer Kopf mit langen Haaren, geöffneten Augen und geöffnetem Mund, leicht schief und nicht minder theatralisch die ganze Tafel einnehmend, ein Heiland-Bild, wie wir es von der Ikonographie kennen, wird gerahmt von zwei ebenso großen Tafeln, die wie Landschaften anmuten; Landschaften, die aus Formen, Linien, Feldern und nicht zuletzt kräftigen Gesten strukturiert sind. Alles zusammen eine Inszenierung eines Altarretabels? Der Bezug zur mittelalterlichen Kirchenmalerei ist Albert Oehlen nicht unbedingt fremd. Er nutzt diesen hier unübertrefflich aus, um lesbare Figuration mit metamorphotischer Abstraktion in der Malerei aufs Unfassbare zu verbinden.

Anfänge
Als Student in der Klasse von Sigmar Polke an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg (1978–1981) nimmt Albert Oehlen aktiv an künstlerischen und politischen Auseinandersetzungen der späten 1970er und der frühen 1980er Jahre teil. Damals wird das Ende der Malerei propagiert. Abgesehen von der historischen Relevanz, wird dennoch wieder kräftig losgelegt, die Generation der "Neuen Wilden" in Berlin oder Köln erobern das Terrain. Alles ist möglich, die große "Kultur-Wort-Mal-Foto-Collage" beginnt. Anfang der 1980er Jahre mit Punk und New Wave in der Musik wird auch die Kunst und insbesondere die Malerei zu einem medialen Ereignis: Schnell ist der Begriff der "neuen deutschen Kunst" in aller Munde, die im stärker beleuchteten Ausstellungsbetrieb jetzt auch in Museen gefeiert wird. Die von Zdenek Felix 1984 kuratierte Ausstellung "Wahrheit ist Arbeit" mit Werner Büttner, Albert Oehlen und Martin Kippenberger im Museum Folkwang, Essen, begleitet ein Katalog, vielmehr ein Künstlerbuch, das die Künstler mit Gemeinschaftstexten als kritische Maler und Poeten mit Tendenz zur Selbstentblößung demonstriert. Die neuen wilden Maler sind Darsteller einer Aufbruchsstimmung und sie liefern mit entsprechend ungestümen Themen genügend Stichworte für Begeisterung hier und Ablehnung dort. Nach den Jahren gemeinsamer Entwicklung und Aufbegehren gegen das Kunstestablishment mit Büttner und Kippenberger scheint sich Oehlen vom Gewicht der demonstrativen Geste zu befreien. Die Malerei wird zum eigentlichen Subjekt jenseits des Inhalts.

Wahrheit der Malerei
Albert Oehlens Malerei zeigt, wenn man unbedingt Ismen zur Beschreibung benötigt, eine Nähe zum Neo-Expressionismus oder vielleicht besser zum amerikanischen Abstract Expressionism. Oehlen selbst betont zuweilen, deren Sprache zu nutzen, ohne aber deren Bildwirkung erreichen zu wollen. Seine Begegnung mit der Malerei der ‚Anderen' ist nicht ohne kritische Distanz und tendenziell begleitet von versteckter Polemik. Auf der Suche nach der Wahrheit in der Malerei vermitteln Oehlens Bilder somit eine Menge widersprüchliche, narrative, materialbezogene, maltechnische oder mechanisch reproduzierte Informationen. "Ausgewählte Übertreibungen", um mit Peter Sloterdijk zu sprechen, mit denen Oehlens Bilder die Betrachtenden frontal attackieren. Weit weg von Parodie oder Nachahmung ist es eher eine Ebene des Selbstzweifels, der mitschwingt, und dennoch expressiv bleibt, wild ist. Dem Künstler geht es immer um die Organisation all dessen, was im Bild stattfindet, in diesem Geviert, unter Berücksichtigung des Narrativen oder vielleicht auch weniger Narrativen. Und bisweilen scheint es eine gewisse Zufälligkeit zu geben, was die Farbe angeht, was die Geste angeht, mit der die Komposition malerisch durchorganisiert ist. Das scheinbar Zufällige oder das Verhältnis von Konkretem – hier etwa vielleicht eine Fotografie, große Lettern eines Schriftzugs eines Plakats – zur übermalenden Geste steht als Struktur, zwei das ganze Format einnehmende Porträts links und rechts als wahrhafte Grundstruktur, über die der Schleier des Informellen gelegt ist. Es ist eine Malerei auf der Suche nach einer Geste, eine aktualisierte Geste, welche "die Abstraktion als Potenzial eliminieren könnte", so Oehlen.

Diskurs über Malerei
Sein Diskurs über Malerei, die Materialität der Malerei dominiert also, und dies nicht zuletzt in der Wiederholung. Mit monumentaler Größe der Leinwände und das in Schichten Übereinanderlegen verschiedener Strukturen ist der Künstler seit Mitte der 1980er Jahre auf der Suche nach einem neuen Umgang mit Abstraktion, auf der Suche nach interessanter Erweiterung seiner Möglichkeiten: Es führt der Weg etwa über Pollock, über die gemalten Farbschleier von Helen Frankenthaler, über die kraftvolle Geste eines Franz Kline, und nicht zuletzt über Willem de Kooning hinaus, dessen Bildsprache, eine stete Vermittlung zwischen Abstraktion und Figuration, ihn zu einem seiner bevorzugten 'Hausgötter' werden ließ und immer eine wichtige Rolle in Oehlens Bildfindung spielt. "Ich mag die Abstrakten Expressionisten. Am liebsten mag ich die Leute, die auch über die Vorgehensweise und die Methodik nachgedacht haben und die neuen Aspekte und Parameter in die Malerei eingebracht haben."

Geheimnis von Oehlens Malerei
Dabei geht es Oehlen jedoch nicht um das Inszenieren eines Künstlerstatements, sondern um die Auflösung der Grenzen der Malerei sowie gleichermaßen das Erproben dieser Grenzen. So findet in den Werken, die vor 1990 entstehen, eine völlige Bedeckung und Verdichtung der Bildoberfläche statt mit übermalten Collagen, Plakaten aus der Werbung, die wie hier eine Art von Unterstruktur des Gemalten bilden und dieses nun auf Formaten von drei bis vier Metern Breite oder, eher selten, in der Form eines ausladenden Triptychons im wahrsten Sinne des Wortes 'ausbreiten'. Hierin liegt vielleicht das Geheimnis von Oehlens Malerei: die Vielschichtigkeit, das Überdecken und Verunklären, vielleicht sogar das Sich-selbst-Zurückzunehmen, um schließlich anstehende, selbstgestellte Probleme zu lösen. Wir sehen auch eine Malerei, die schließlich bei aller Abstraktion wieder mit dem Naturalismus liebäugelt und wie hier mit einem übergroßen, ins Zentrum des Triptychons gestellten Bildnis überrascht, was auf eine Inversion von Figuration und Abstraktion hinausläuft. "Ich wollte Emotionen! [..] Aber irgendwann faszinierten mich diese Akt-Bilder von Francis Picabia: Mir hat jemand erzählt, dass es ihm einfach große Freude bereit habe, diese Frauen zu malen. Ich dachte: 'Schade. So habe ich nie gearbeitet. Etwas, das ich ganz ernsthaft toll finde, einfach abzubilden.' Gleichzeitig wollte ich immer Popkunst machen, große, farbige Sachen, die einen unmittelbar ansprechen." (Albert Oehlen, zit. nach: Interview mit Albert Oehlen von Max Dax, S. 77, in: Albert Oehlen 1991 2008, Galerie Max Hetzler, Berlin 2008) Bei allem Ernst, mit dem Albert Oehlen an seine Arbeit herangeht, dem schönen Bild zu huldigen, ist neben dem Zeitkritiker, Chronist, Flaneur und Beobachter auch der Ironiker geblieben. Gegenüber Daniel Richter, seinem künstlerischen Freund, äußert Albert Oehlen den Wunsch: "Mal ein wirklich schönes Bild malen, in das wahnsinnig viel Wahrheit reingequetscht worden ist, die aber aussieht wie Kitsch".

Pop Art und Ikonen

Die amerikanische Pop Art ist für Oehlen über Jahre hinweg ein schwieriger Bezugspunkt. Die Direktheit der Bildsprache und vor allem das Verhältnis von Figuration und Abstraktion, das ab den 1960er Jahren nicht zuletzt von Andy Warhol für die amerikanische Kunst neu formuliert wird, ist wegweisend. Die plakativen Motive üben eine enorme Strahlkraft aus, gleichermaßen verlieren sie jedoch im europäischen Kontext ihre subversive Kraft. Ein Teil der Bilder, die Ende der 1980er Jahre entstehen, wird vom Künstler wieder zerstört. Nicht so unser Triptychon von 1988, das als eines der Schlüsselwerke dieser Phase gelten kann. Die mittlere Bildtafel zeigt das Portrait einer Frau, doch auch die beiden äußeren Bildtafeln lassen die Umrisse zweier Köpfe unter den abstrakten Ver- und Übermalungen erkennen. Annäherung und Distanz bestimmen Oehlens Beziehung zur Pop Art und dieser Ambivalenz verleiht er mit malerischer Verfremdung und Überlagerung Ausdruck. Am Beispiel der Arbeiten Sigmar Polkes lernt er vergleichbare Strategien bereits während seines Studiums kennen. Oehlen ist sich bewusst, dass die malerischen Lösungen, die noch im Geist der 1960er Jahre wurzeln, in den späten 1980er Jahren von ihm hinterfragt werden müssen. Sein Weg liegt im kritischen Rückblick. Nicht nur die Malerei der 1960er Jahre wird inzwischen in einem ganz anderen Licht gesehen, sondern auch der Umgang mit den einstigen Ikonen hat sich gewandelt. Jackie Kennedy ist zu der Zeit, als Andy Warhol sie zum wichtigen Motiv erhebt, Stil-Ikone, Präsidentengattin und Symbolfigur der US-amerikanischen Seele. Nach dem Tod Ihres Mannes und der erneuten Heirat mit Aristoteles Onassis wendet sich die fast blinde Verehrung mit voller Kraft in eine mitunter verächtliche Ablehnung. Ein Pressebild zeigt beispielhaft die mediale Umdeutung und den Wandel von Jackie Kennedy zu Jackie O. Verweist Oehlen nicht mit der Verwendung der Lettern auf den Kontext der Printmedien? Erinnern nicht die Gesichtszüge des Portraits, das breite Kinn, das Haar, die Augenbrauen und die fast greifbare Zerrissenheit an die omnipräsenten Zeitungsbilder der gefallenen Ikone? [MvL/SN]



243
Albert Oehlen
Ohne Titel (Triptychon), 1988.
Mischtechnik auf Holz
Schätzung:
€ 1.500.000
Ergebnis:
€ 3.600.000

(inklusive Aufgeld)