Auktion: 520 / Evening Sale am 18.06.2021 in München Lot 355

 

355
Joseph Beuys
Ohren, 1984.
Verbrannter Keilrahmen, verbrannte Leinwand in ...
Schätzung:
€ 70.000
Ergebnis:
€ 83.750

(inkl. Käuferaufgeld)
Ohren. 1984.
Verbrannter Keilrahmen, verbrannte Leinwand in Plexiglas-Objektkasten.
Rückseitig auf der unteren Leiste mit der Signatur. 60 x 73 x 2 cm (23,6 x 28,7 x 0,7 in). Objektkasten: 80 x 90 x 8 cm (31,4 x 35,4 x 3,1 in).
Es handelt sich um das Gemälde "Ferme à Montfoucault" von Camille Pissarro, das bei einem Brand, ausgelöst durch eine einzelne Kerze kurz vor Weihnachten 1984, zerstört wurde. Das Werk ist im Pissarro-Werkverzeichnis von 1939 nicht aufgeführt, aber in der Version von 2005 unter der Nummer 379. Nach dem Unglück 1984 sah Joseph Beuys dieses malträtierte Werk bei einem Restaurator und hat es spontan in "Ohren" umbenannt und signiert. [EH].
• "Ohren": ein exemplarisches Beispiel für Josef Beuys' progressiven Kunstbegriff, der sich jeglicher Konvention verweigert.
• Ein durch eine Kerze völlig zerstörtes Kunstwerk Pissarros ist im prozessualen Vorgehen von Beuys erneut zum Kunstwerk erhoben.
• Die Wahrnehmung der transformativen Aufgabe von Kunst unter Ausschluss ästhetischer Relevanz manifestiert sich in der Würdigung der Zerstörung.
• Ein vergleichbares Objekt ist die verbrannte Tür von Beuys’ Atelier in Heerdt, an die er zwei Hasenohren und einen Reiherschädel hängt (heute: Museum moderner Kunst, Wien)
.

Mit einer Expertise von Eva Beuys vom 7. Februar 1990 (in Kopie, verso auf die Objektkastenrückseite montiert).

PROVENIENZ: Ehemals Sammlung Dr. Sohl (Gemälde Pissarro bis 1984).
Privatsammlung Deutschland.

AUSSTELLUNG: Joseph Beuys: Natur, Materie, Form, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 30.11.1991–9.2.1992, Kat.-Nr. 483 (hier datiert 1979).
Joseph Beuys: Wo ist Element 3?, Ketterer Kunst, Berlin, 26.3.–22.5.2021.

„Meine Objekte müssen als Anregungen zur Umsetzung der Idee des Plastischen verstanden werden. Sie wollen Gedanken darüber provozieren, was Plastik sein kann und wie das Konzept der Plastik auf die unsichtbaren Substanzen ausgedehnt und von jedem verwendet werden kann.“
Beuys 1979, zit. nach: Volker Harlan, Was ist Kunst? Werkstattgespräch mit Beuys, Stuttgart 1992, S. 13

Die traurige Geschichte von einem am Weihnachtsabend 1984 durch eine einzige brennende Kerze vernichteten Bild von Camille Pissarro veranlasste Beuys, die wertlose Ruine zu reanimieren. Die in der Ausstellungstechnik auch Ohren genannten und zur Sicherheit dienenden Messingösen haben Beuys laut Eigentümer bewogen, diesem tragischen Stück den Titel „Ohren“ zu geben und es schließlich dem Restaurator zu überlassen. Dabei ging es ihm vordergründig wohl nicht um die den Brand überstehenden Befestigungselemente, sondern um Beuys‘ Vorstellung, dass das Hörende in der Wahrnehmung von Kunst eine entscheidende Rolle spielt. Von dem einstmals den Augen dienenden und diese erfreuenden Bild von Pissarro ist nur noch eine Ahnung geblieben. Das Undefinierte der Ahnung, das Sinnen auf innere Bilder, ist dem Hören verwandt. Der verbrannte Keilrahmen steht andererseits auch im Zusammenhang mit der Vorstellung, dass die Malerei an ihren Endpunkt gelangt ist. Beuys’ als Postkarte verbreitetes Manifest aus demselben Jahr lautet: „Der Fehler beginnt bereits, wenn man sich anschickt Leinwand und Keilrahmen zu kaufen.“ (zit. nach: Klaus Staeck (Hrsg.), Joseph Beuys. Mit dummen Fragen fängt jede Revolution an, Göttingen 1996, S. 97, Nr. 92). [Eugen Blume]



355
Joseph Beuys
Ohren, 1984.
Verbrannter Keilrahmen, verbrannte Leinwand in ...
Schätzung:
€ 70.000
Ergebnis:
€ 83.750

(inkl. Käuferaufgeld)